Es gibt ein wiederkehrendes Phänomen in meinem Leben: Knieschmerzen

Von einem Tag auf den anderen kann ich das Knie vor Schmerzen kaum noch beugen. Dabei habe ich es weder überlastet noch verdreht. Beim ersten Mal ging ich zum Arzt. Der Orthopäde wollte mir, ohne das MRT-Bild abzuwarten, beide Knie operieren. Er hätte da zufällig gerade einen OP-Termin frei. Ich lehnte ab. Später kam der MRT-Befund: Arthrose. Der Orthopäde sah mich nie wieder. Nach einer Ernährungsumstellung machte ich Histamin als Ursache meiner Knieprobleme aus. Aber die Schmerzen kamen immer wieder. Jedes Mal kosteten sie mich Wochen bis Monate Trainingspause. Ich wusste nicht mehr weiter.

Mehr als zehn Jahre nach meinem Besuch beim Orthopäden passierten zwei Dinge, die meine Perspektive auf die Schmerzen verändern sollten:

Im Jahr 2021 hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Hexenschuss. Zu dieser Zeit war ich schon jahrelang frustriert über meine Arbeit. Nach der Kündigung und mit der Unterstützung eines klugen Physiotherapeuten verschwanden meine Rückenschmerzen so plötzlich, wie sie gekommen waren.

Im Spätsommer 2022 machte ich eine Entdeckung, über die ich schrecklich wütend war. Um nicht zu explodieren, reagierte ich mich beim Sport ab. Am nächsten Tag hatte ich heftige Schmerzen in beiden Knien.

Falls Du Dich jetzt fragst, was Frust und Wut mit körperlichen Schmerzen zu tun haben, dann solltest Du diesen Artikel lesen. Er handelt von der Macht der Emotionen und warum sich der Verstand manchmal vor ihnen verschließt.

Das dreieinige Gehirn

Anatomisch gesehen macht der Verstand eines Menschen etwa zwölf Prozent seines Gehirnvolumens aus [1]. Sichtbar wird dies im dreieinigen Hirnmodell im Bild unten. Dieses einfache Modell teilt das Gehirn in drei stammesgeschichtlich unterschiedlich alte Strukturen ein: Die Großhirnrinde (Neokortex), das Limbische System und das Reptiliengehirn. Obwohl das Triune Brain wissenschaftlich nicht exakt ist, erkärt es viele Aspekte des menschlichen Verhaltens.

Triune Brain
Vereinfachte Darstellung der evolutionsbiologischen Entwicklungsstufen des Gehirns nach Paul D. MacLean: Neokortex (Großhirnrinde) – Limbic Brain (Limbisches System) – Reptilian Brain („Reptiliengehirn”) Quelle: [2]

Neokortex – Ich-Bewusstsein

Unser geistiges Zentrum befindet sich in der vorderen Schädelgruppe hinter der Stirn. Dieser Teil der Großhirnrinde heißt präfrontaler Kortex und gilt als der evolutionär jüngste Teil des Gehirns. Als kognitives Zentrum steuert er Lernprozesse, das analytische Denkvermögen, Sprachverständnis, Planung, Kreativität, Intuition, Selbstbild und Sozialverhalten. Ich-Bewusstsein bezeichnet die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und zur Wahrnehmung des eigenen Ichs. Das Wissen um die eigene Identität unterscheidet uns Menschen – mit Ausnahme einiger Menschenaffen – von allen anderen Tieren [3].

Über Nervenbahnen ist der präfrontale Kortex mit dem darunterliegenden Limbischen System und dem Hirnstamm verbunden. Informationen, die den präfrontalen Kortex über die aufsteigenden Bahnen erreichen, werden kognitiv wahrgenommen, analysiert und in das Bewusstsein integriert. Über die absteigenden Bahnen kann der präfrontale Kortex die Prozesse in den unteren Hirnregionen beeinflussen.

Limbisches System – Emotionen

Das Limbische System ist für die Verarbeitung von Emotionen zuständig. Emotionen sind Körperempfindungen, mit denen wir auf äußere (exterozeptive) Reize oder auf die Erinnerung an diese Reize reagieren. Beispiele für Emotionen sind Freude, Liebe, Traurigkeit, Wut, Scham oder Angst. Angst kann auch durch interozeptive Reize wie Herzschmerzen oder Atemnot ausgelöst werden.

Die mit Emotionen assoziierten Veränderungen des Körperzustandes sind bei allen Menschen universell gleich, unabhängig von Geschlecht oder Kultur. Bei Emotionen werden unterschiedliche Körperregionen aktiviert oder deaktiviert (Bild unten) [4]. Aktivierung heißt Erregung von Nerven, Muskeln, Haut und anderen Körperzellen. In den aktivierten Körperregionen steigt der Durchfluss von Körperflüssigkeiten wie Blut, Lymphe und Drüsensekreten. In deaktivierten Bereichen sind Erregung und Durchfluss gehemmt [5*].

Bodily maps of emotions
Die statistisch gemittelte Körperkarten von 3954 Studienteilnehmern zeigen die Körperregionen, deren Aktivierung beim Empfinden der jeweiligen Emotion zunimmt (warme Farben) oder abnimmt (kühle Farben). Quelle: [4]

Das vegetative Nervensystem reagiert auf Emotionen, indem es Herz- und Atemfrequenz verändert, den Muskeltonus reguliert und Hormone ausschüttet. In der Folge verändern sich unser inneres Milieu und unsere äußere Erscheinung. Bei Freude spüren wir eine innere Wärme, wir lachen, werfen den Kopf zurück und schütteln Schultern und Brustkorb. Traurigkeit fühlt sich dagegen kalt an. Wir lassen den Kopf hängen und unsere Körperbewegungen sind gehemmt (Bild unten).

Emotions and Body Pose
Emotionen wie Wut (angry), Ekel (disgusted), Angst (fearful), Freude (happy), Traurigkeit (sad), Überraschung (surprised) drücken sich durch Körpersprache und Muskelbewegungen aus. Quelle: [6]

Weil sich das vegetative Nervensystem unserer willkürlichen Kontrolle entzieht, können wir unseren emotionalen Ausdruck nie komplett verbergen. Mimik, Körperhaltung und Bewegungen verraten viel über das Innenleben eines Menschen.

Damit wir unsere Emotionen selbst wahrnehmen, muss das Gehirn sie in das Bewusstsein integrieren – Erst im präfrontalen Kortex nehmen wir Emotionen bewusst als Gefühle wahr. Die nachfolgende Tabelle verdeutlicht den Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen anhand von vier Beispielen [7].

Auslösender Reiz Emotionen (Körpersignale) Gefühl
Hohe Blutosmolalität - Trockener Mund
- Verringerte Wasserausscheidung
- Gereiztheit
- Müdigkeit
Durst
Druck mit spitzem
Gegenstand
- Zurückziehen des betroffenen Körperteils
- Lokale Gefäßerweiterung
- Gesichtsmuskeln bilden Ausdruck des Schmerzes
- Aufmerksamkeit fokussiert auf betroffenen Körperteil
Schmerz
Anblick eines
gefährlichen Tieres
- Erhöhte Herz- und Atemfrequenz
- Ausschüttung von Cortisol und Adrenalin
- Umverteilung des Blutflusses
- Analgesie
- Gesichtsmuskeln bilden einen Ausdruck der Angst
- Aufmerksamkeit auf wahrgenommener Bedrohung
Angst
Empfang schlechter
Nachrichten
- Erhöhter Blutdruck
- Unregelmäßiger Herzrhythmus
- Verringertes Atemtempo
- Sekretion der Tränenflüssigkeit
- Gesichtsmuskeln bilden Ausdruck von Traurigkeit
Traurigkeit

Für ein gesundes und glückliches Leben müssen wir unsere Emotionen verstehen, akzeptieren und unser Handeln nach ihnen ausrichten. Leider gelingt das vielen Menschen nicht. So kommt es vor, dass wir negative Emotionen wie Wut Angst und Traurigkeit verdrängen oder abspalten – Wir exprimieren sie über Hautfarbe, Körperhaltung, Stimme und Mimik, aber wir fühlen sie nicht.

Bevor ich auf die Folgen verdrängter Emotionen eingehe, sehen wir uns noch die Funktion der dritten Gehirnstruktur an: Überleben

Reptiliengehirn – Überlebensreflexe

Der Name Reptiliengehirn leitet sich von der Tatsache ab, dass das Gehirn eines Reptils vom Hirnstamm dominiert wird. Der Hirnstamm enthält die Regelkreise des vegetativen Nervensystems, die unsere Instinkte und primitiven Überlebensfunktionen steuern. Zum Reptiliengehirn gehören außerdem das Rückenmark sowie das Vestibuläre (räumliche Orientierung) und Somatsensorische System (Oberflächen- und Tiefensensibilität).

Sinnesreize erreichen zuerst den Hirnstamm und werden von dort an das limbische System zur emotionalen Verarbeitung weitergeleitet. Registriert das limbische System eine Gefahr, erhöht der Hirnstamm reflexhaft den Muskeltonus. Die muskuläre Anspannung macht den Körper bereit für Kampf oder Flucht oder führt zur Erstarrung (Totstellreflex).

Über die aufsteigenden Nervenbahnen erreicht die Erregung den Neokortex, wo sie Gefühle von Aggression oder Angst erzeugt. Weil die absteigenden Nervenbahnen gehemmt sind, können wir unsere Körperbewegungen in diesem Zustand nur schwer kontrollieren (Bild unten) [8].

erhöhter Muskeltonus
Sinnesreize treffen auf den Hirnstamm (Medulla, Pons, Midbrain). Von dort werden sie an das limbische System zur emotionalen Verarbeitung weitergeleitet (Thalamus). Droht Gefahr, versetzt das Nervensystem den Körper in den (1.) Kampf-oder-Flucht-Modus („Fight/Flight”) oder in die (2.) Erstarrung („Freeze”). Die Abwehrreaktion und der Muskeltonus werden vom Hirnstamm gesteuert. Der Neokortex ist erregt, sein modulierender Einfluss ist geschwächt (durch gestrichelte Linien angedeutet). RAS: Reticular Activating System; PAG: Periaqueductal Gray Quelle: [8]

Wenn wir kämpfen oder fliehen, registriert das vestibulär-somatosensorische System Muskeleinsatz und Körperbewegung und meldet sie an den Hirnstamm. An diesem Feedback erkennt der Hirnstamm, wenn Kampf oder Flucht zu Ende sind. Haben wir überlebt, sendet der Hirnstamm Entspannungssignale an das vegetative Nervensystem. Der Muskeltonus sinkt und wir kehren zurück in einen Zustand entspannter Ruhe.

Im Fall der Erstarrung fehlt das vestibulär-somatosensorische Feedback an den Hirnstamm und der Körper bleibt in der vegetativen Erregung „stecken” [8]. Wenn wir weder kämpfen noch fliehen können, löst das Gehirn einen Schutzmechanismus aus: Es trennt uns von unseren Emotionen, um uns auf das Sterben vorzubereiten. Das kann sich anfühlen, als würden wir unseren Körper verlassen und das Geschehen wie einen Film beobachten (Dissoziation).

Spaltung von Körper und Geist

Anders als in Jäger- und Sammlergesellschaften wachsen die meisten Kinder heute isoliert und mit wenigen Bindungspersonen auf [9]. Sie bekommen weniger Körperkontakt und emotionale Zuwendung, sollen folgsam sein und „funktionieren”. Häufig werden sie mit ihren Emotionen alleine gelassen oder sogar bestraft, wenn sie ihrer Wut und Angst durch Toben und Schreien Ausdruck verleihen.

Um akzeptiert und geliebt zu werden, lernen diese Kinder, ihre Emotionen zu unterdrücken [10*]. Angst vor Strafe und Verlassenwerden aktivieren zudem die Überlebensreflexe. Das autonome Nervensystem reagiert mit erhöhter Muskelanspannung und der Ausschüttung von Stresshormonen, doch der Verstand hat gelernt, die Botschaften des Körpers zu ignorieren. Es kommt zur Spaltung von Körper und Geist.

Ich will nicht fühlen

Wenn wir als Kind immer wieder gehört haben „Stell Dich nicht so an!” oder „Sei doch nicht immer so empfindlich!”, wird diese Einstellung zu unserem Inneren Kritiker. Der Innere Kritiker leugnet unsere Gefühle, entwertet, verachtet und beschämt uns, auch wenn wir längst erwachsen sind. Weil Gefühle von Scham und Wertlosigkeit so schwer zu ertragen sind, wollen wir sie nicht fühlen. Wir werden zu Verstandesmenschen, die alles Emotionale ablehnen.

Sad Chld

Manche Menschen entwickeln eine Alexithymie – das heißt sie können ihre Gefühle weder wahrnehmen, noch einordnen oder verbal beschreiben. Fünf bis zehn Prozent aller Erwachsenen erkennen Herzklopfen und Schwindel nicht als physischen Ausdruck von Angst. In der Folge empfinden Alexythymiker weder Angst, noch Wut, noch Freude [11,12].

Überleben um jeden Preis

Wenn wir durch Vernachlässigung, Missbrauch oder ein lebensbedrohliches Ereignis traumatisiert wurden, verharren wir im Überlebensreflex der Erstarrung – einem Zustand aus Dissoziation und Übererregung. Wir spüren unsere Emotionen entweder gar nicht oder erleben das traumatische Ereignis auf körperlicher Ebene immer wieder (Flashback). Das Trauma ist im Körper gespeichert, gleichzeitig leiden viele Betroffene an einem „Gefühl der Gefühllosigkeit” [13*].

Solange verdrängte Emotionen und Traumata nicht aufgelöst werden, bleibt die mit ihnen verknüpfte Erregung im Nervensystem und im Körper gespeichert. Wenn die aufgestaute Energie nicht abfließen kann, verschiebt sich das innere Gleichgewicht. So wird der Körper zum Schlachtfeld unserer seelischen Konflikte.

Der Körper als Kampfzone

Im Buch Körperschmerz – Seelenschmerz* beschreibt die Ärztin Hildegund Heinl, wie Traumata und Konflikte zur „Inneren Arbeitsüberlastung” für den Körper werden. Wenn Angst, Trauer, Scham einen Menschen an der Entfaltung natürlicher Bewegungsmuster hindern, erhöht sich sein Muskeltonus und führt durch Akkumulation zur chronischen Erstarrung der betroffenen Muskelgruppe.

Je wütender, ängstlicher oder trauriger jemand ist, desto mehr Spannung speichert er in seinen Muskeln und umso mehr Stresshormone schüttet er aus. Das geht so lange, bis die unterdrückten negativen Emotionen als Schmerzen und Krankheiten zum Ausdruck kommen. Häufige Krankheitsbilder sind Rückenschmerzen, Migräne, Fibromyalgie, Arthritis und chronische Erschöpfung [5*,13*,14*,15].

Emotionale Schmerzmuster

Die durch verdrängte Emotionen verursachten Schmerzen manifestieren sich an Körperstellen, an denen eine Muskelbewegung stattfinden sollte, ihre Ausführung jedoch unterdrückt wurde. Hieraus entstehen charakteristische Schmerzmuster. Zu beachten ist, dass Menschen aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen und persönlichen Traumata sehr individuelle Haltungs-, Ausdrucks- und Bewegungsmuster entwickeln können. Muskuläre Spannungsmuster spiegeln die emotionale Grundhaltung, aber auch persönliche Konflikte wider [5*,14*]. Nachfolgend habe ich Beispiele für emotionale Schmerzmuster zusammengetragen.

Wut

Bei Wut und Zorn fließt ein Großteil der Erregung in Arme, Gesicht und Augen. Dabei kann es zu einer Blutstauung in Kopf und Hals kommen [5*]. Auch Rücken, Gesäß und Beine werden aktiviert, damit wir uns körperlich zur Wehr setzen können. Unterdrückte und nicht ausagierte Wut kann die folgenden Symptome auslösen [13*,16]:

  • Verspannungen in Nacken, Hals und Kiefer, um Schreien, Zähnezeigen und Beißen zu unterdrücken
  • Schmerzen im Arm und in den Handgelenken, um den Impuls zum Zuschlagen abzuwehren
  • Schmerzen im unteren Rücken durch die Verpannung und Verkürzung des Hüftbeugers. Der Muskel verbindet die Beine mit dem Rumpf (Bild unten). Seine Funktion ist es, die Hüfte zu beugen, den Oberschenkel anzuziehen und die Hüfte nach außen zu drehen. Das macht den Hüftbeuger zum ultimativen „Kampf-und-Flucht-Muskel”. In aufrechter Haltung wirkt er auf die Lendenwirbelsäule und das Becken. Durch Verspannung und Verkürzung enstehen Schmerzen im lumbosakralen Bereich [17].
Psoas Major
Der Psoas major (großer Hüftbeuger) verbindet den Rumpf mit den Beinen. Er kontrahiert bei Kampf, Flucht und Erstarrung. Quelle: Anatomography, Psoas major muscle11, CC BY-SA 1.0
  • Schmerzen im Gluteus und im Knie, weil man zutreten will
  • Gelenksteifigkeit und Schmerzen in Beinen und Füßen wegen der Unfähigkeit, sich körperlich zu verteidigen bzw. für sich selbst einzutreten
  • Bauchschmerzen und Darmkrämpfe („Wut im Bauch”).

Bewusst zurückgehaltene Wut kann man zu einem späteren Zeitpunkt durch expressive Bewegungen wieder freisetzen. So ermöglicht man es dem Körper, die gespeicherte Energie abzugeben und in einen entspannten Zustand zurückkehren (Selbstkontrolle). Unbewusste Wut bleibt dagegen im System gespeichert. Sie resultiert fast immer aus Ohnmachtserfahrungen und Demütigungen in der Kindheit. Weil sie damals nicht „entladen” werden konnte, äußert sie sich später als chronische Muskelverspannung und Rigidität [5*,16].

Angst und Hilflosigkeit

Angst bewirkt eine Kontraktion der Muskulatur und eine flache, schnelle Atmung. Gesteigerte Fluchtbereitschaft äußert sich als Hypervigilanz. Fluchtreflexe lösen zudem einen starken Bewegungsdrang aus. Können wir aus einer furchtauslösenden Situation nicht fliehen, kommt es zur Erstarrung. Wir halten den Atem an, ducken wir uns weg und machen uns klein. Typische Schmerzen sind:

  • Verspannung der Augenringmuskulatur (ängstlicher Gesichtsausdruck)
  • Nackenschmerzen, weil wir den Kopf einziehen
  • Schulterschmerzen, weil wir die Schultern hochziehen (Frozen Shoulder [18])
  • Schmerzen im unteren Rücken, verursacht durch die Verspannung und Verkürzung des Hüftbeugers, denn wir wollen entweder wegrennen (Flucht) oder die Beine schützend an den Körper ziehen (Erstarrung).
  • Gelenksteifigkeit und Schmerzen in Beinen und Füßen wegen der Unfähigkeit wegzurennen

Schläge führen zu harten Verspannungen in Rücken und Gesäß. In Körperschmerz – Seelenschmerz* berichtet Dr. Heinl von einem Patienten, der nach einem Streit mit seinem Chef an chronischer Verspannung im unteren Rücken litt. Es stellte sich heraus, dass er als Kind von seinem Vater verprügelt worden war und der Autoritätskonflikt alte Schmerzmuster reaktiviert hatte [14*].

Unfallopfer speichern die Erinnerung an ihre Hilflosigkeit meist als Muskelspannung oder Taubheitsgefühle in den beim Unfall versehrten Körperteilen wie Kopf, Rücken, Armen oder Beinen. Bei sexuell Traumatisierten finden sich häufig Verspannungen im Becken, in der Leistengegend, im Kreuzbein, in Beckenboden, Vagina und/oder Rektum [13*,16].

Trauer

Unausgedrückte und nicht bewältigte Trauer führt zu einer Erstarrung, die sämtliche Körperbewegungen hemmt. Typische Beschwerden sind [16]:

  • Anspannung in Kiefer und Kehle, um die traurigen Gefühle (das tiefe Schluchzen) zu unterdrücken. Der Hals wird eng („Kloß im Hals”).
  • Schmerzen im Nacken, weil wir den Kopf hängenlassen
  • Schulterschmerzen, weil die Trauer wie eine „Last auf den Schultern” liegt
  • Spannungen im oberen Rücken – Durch chronische Kontraktion der Rippenhalter-Muskeln wird die Öffnung zur Brust verengt (Bild unten). Es entsteht ein Engegefühl im Bereich des Herzens ( Das Herz wird „schwer”). Hierdurch wird auch die natürliche Atembewegung behindert.
Musculi Scaleni
Die Rippenhalter-Muskeln (Musculi Scaleni) ziehen von der Halswirbelsäule zu den oberen beiden Rippen. Die Kontraktion verengt den Brustraum. Quelle: User:Mikael Häggström, Scalenus, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
  • Durch das Zusammenziehen des Brustkorbs können Schmerzen in der Brust auftreten („Herzschmerz”).
  • Trauer und andere unerwünschte Gefühle werden auch über die Regulierung von Atmung und Stimme unterdrückt, indem man das Zwerchfell hochzieht und immobilisiert. Auf diese Weise hält das Zwerchfell negative Emotionen „fest” [5*,16].

Metaphern wie „Herzschmerz” und „gebrochenes Herz” machen deutlich, wie eng Trauer mit körperlichem Schmerz verbunden ist. Neben Schmerzen zeigt sich Trauer auch in Erschöpfung, Schwäche, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen [19].

Gekränkter Stolz

In der psychosomatischen Deutung sind Stolz, Ego und Durchsetzungskraft mit dem Kniegelenk assoziiert. Es steht für Flexibilität im Umgang mit Belastungen, das geschmeidige Mitgehen mit dem Fluss des Lebens und die Fähigkeit zum Nachgeben (Stolz ohne Trotz) [5*,20].

Squat
Ein gesundes Knie reagiert flexibel auf Belastungen. Bei Knieschmerzen werden wir unbeugsam. Psychosomatisch symbolisieren Knieschmerzen Sturheit und gekränkten Stolz.

Ein unbewegliches, schmerzhaftes Kniegelenk ist ein typisches Schmerzmuster für gekränkten Stolz und gleichzeitig ein Symbol für Sturheit und Unbeugsamkeit: „Ich lasse mich nicht in die Knie zwingen”.

Psyche und Arthrose

Innere Zerrissenheit erzeugt gegenläufige muskuläre Spannungsmuster [21]. Einerseits wollen wir kämpfen und uns selbst behaupten: Unbewusst richten wir uns auf, strecken die Wirbelsäule, spannen Arme und Fäuste an, drücken die Knie durch und machen uns groß. Auf der anderen Seite haben wir Angst vor der eigenen Courage: Reflexhaft rollen wir den Oberkörper ein, ziehen die Beine an den Körper und machen uns klein. Der Körper befindet sich im Zwiespalt –

Aufstehen oder Aufgeben?

Der Sportwissenschaftler Jan Lingen bezeichnet die beiden gegenläufigen Bewegungsimpulse als Startmuster und Stoppmuster:

  • Das Startmuster aktiviert die Streckmuskeln. Ausgelöst wird es durch sportliche Aktivität, Selbsthauptung, Motivation oder Aggression.
  • Das Stoppmuster aktiviert die Beugemuskeln. Ausgelöst wird es durch Angst, Rückzug, (Selbst-)Aufgabe. Der Extremfall ist die Embryonalstellung.

Weil wir den Körper aber nicht gleichzeitig strecken und beugen können, werden Bandscheiben und Knorpel komprimiert. Durch den anhaltenden Druck degenerieren die Gelenke. Die Folgen sind Arthrose und Bandscheibenvorfälle. Jan Lingen erklärt die Zusammenhänge sehr anschaulich in diesem Video.

Körperbewusstsein lernen

Zu einer inneren Einheit zwischen Denken und Fühlen können wir nur gelangen, indem wir unsere Emotionen anerkennen, respektieren und situationsbedingt in angemessener Weise ausdrücken. Um festsitzende Verspannungen aufzulösen, müssen wir mit unserem Körper in Kontakt kommen und mit ihm arbeiten. Alexander Lowen, Pionier der Körperpsychotherapie und Begründer der Bioenergetischen Analyse schreibt in seinem Buch Bioenergetik*: „Die Betonung liegt […] auf Atmen, Fühlen und Bewegen [5*]. Zwei Methoden, mit denen wir das Gespür für unseren Körper wieder lernen können, sind Stretching und Yoga.

Stretching

Dehnübungen wirken auf mehreren Ebenen heilsam für den Organismus:

  • Durch chronische Anspannung und Gelenkschmerzen verliert der Körper seine Beweglichkeit und Lebendigkeit. Dehnen wirkt der Steifheit entgegen und verbessert den Bewegungsumfang.
  • Der körperliche Reiz des Dehnens ist ein Signal an das Nervensystem, die muskuläre Anspannung zu reduzieren. Das innere Gleichgewicht verschiebt sich zugunsten des Parasympathikus [22].
  • Ein weiterer Vorteil des Stretchings ist, dass die gedehnten Muskeln besser durchblutet werden. Die Endothelfunktion verbessert sich, die Muskeln werden mit mehr Sauerstoff versorgt und Stoffwechsel-Endprodukte werden schneller abtransportiert [23,24,25].

Voraussetzung für Entspannung ist, dass man sich die Zeit nimmt, den Körper langsam an die Dehnung heranzuführen. Wenn man die Grenze der eigenen Beweglichkeit erreicht, kann sich das unangenehm anfühlen und sogar Angstgefühle auslösen. Um das Nervensystem zu beruhigen, sollte man während des Stretchings tief in den Bauch atmen und die Dehnung ganz bewusst spüren. Auf diese Weise signalisiert man dem Körper, dass er unangenehme Gefühle zulassen darf und aushalten kann. Wer regelmäßig dehnt, kann sich dem Gefühl der Dehnung immer entspannter hingeben.

Yoga

Yoga ist die ultimative Schule für das Körperbewusstsein, weil es die drei Elemente Atmen, Fühlen und Bewegen miteinander vereint:

Pranayama (Prana = Lebensenergie und Ayama = kontrollieren) steht für die Harmonsierung von Körper und Geist durch die bewusste Regulierung und Vertiefung der Atmung. Yoga-Atemtechniken sind die tiefe Bauchatmung, der Feueratem oder die Wechselatmung. Pranayama löst Verspannungen im Zwerchfell, verbessert die Lungenfunktion und reguliert das autonome Nervensystem [26].

Asanas sind Körperübungen im Yoga, welche Kraft, Koordination und Beweglichkeit schulen. Im Zentrum stehen das bewusste Anspannen und Loslassen, ein ruhiger Atem und Selbstbeobachtung. Die Achtsamkeit für somatische Empfindungen und die damit verbundenen Emotionen unterscheidet Yoga von fast allen anderen Formen des körperlichen Trainings [27].

Dhyana (Meditation) ist der Zustand innerer Einkehr. Beim Dhyana dürfen Emotionen frei fließen. Man nimmt sie an, gibt ihnen den Raum, den sie brauchen und lässt sie anschließend gehen. Dabei können alte „eingefrorene” Emotionen frei werden, wodurch die Muskelspannung sinkt.

Weil Yoga den Parasympathikus aktiviert, reduziert es Stress und fördert die Selbstregulation. Bei traumatisierten Menschen können jedoch Emotionen frei werden, die sich unerträglich anfühlen und Panik auslösen. Hier kann Traumasensibles Yoga* unter Anleitung eines geschulten Lehrers eine sinnvolle Ergänzung zu Psychotherapie und medikamentöser Behandlung sein [28*,29].

Meine Erfahrungen

In den vergangenen Monaten wurde mir bewusst, dass ich aus Vernunft und Pflichtgefühl zu lange an Aufgaben und Personen festgehalten habe, die mir nicht gut tun. Wie vielen anderen Menschen wurde mir als Kind mein gesundes Bauchgefühl abtrainiert. Nur mein Körper hat rebelliert. Von Kindheit an litt ich an Schlaflosigkeit, Verdauungsstörungen und Hautproblemen. Später kamen die Knieschmerzen, eine Autoimmunerkrankung und Histaminintoleranz dazu.

Aktuell arbeite ich daran, mein Körperbewusstein und meinen inneren Kompass wiederzufinden. Stretching und Yoga helfen mir dabei. Zusätzlich befasse ich mich mit Bioenergetik – Körperübungen, mit denen sich emotionale Spannungen aus den Muskeln freisetzen lassen. Falls Du Dich für Bioenergetik interessierst, empfehle ich Dir als Einstieg dieses Video von Integrale Körperarbeit.

Ich behaupte nicht, dass alle körperlichen Probleme auf verdrängten Emotionen beruhen. Aber wenn Du mit Ernährungsumstellung und Biochemie alleine nicht mehr weiterkommst, dann solltest Du Dir Deine Lebensgeschichte anschauen. Sehr viele Menschen tragen unbewusst die Lasten der Vergangenheit mit sich herum. Höre auf Deinen Körper und erlaube Deinen verdrängten Emotionen, an die Oberfläche zu kommen.

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Quellen

  1. McBride T, Arnold SE, Gur RC. A comparative volumetric analysis of the prefrontal cortex in human and baboon MRI. Brain Behav Evol. 1999 Sep;54(3):159-66
  2. Saputra, Ellen. (2019). PERANCANGAN CREATIVE JOURNAL SEBAGAI MATERI PENDUKUNG DREAM SETTING CANVAS. Jurnal Dimensi DKV Seni Rupa dan Desain. 4. 141. 10.25105/jdd.v4i2.5899
  3. Lei Y. Sociality and self-awareness in animals. Front Psychol. 2023 Jan 9;13:1065638
  4. Volynets S, Glerean E, Hietanen JK, Hari R, Nummenmaa L. Bodily maps of emotions are culturally universal. Emotion. 2020 Oct;20(7):1127-1136
  5. Alexander Lowen. Bioenergetik: Therapie der Seele durch Arbeit mit dem Körper. Herausgeber: Rowohlt Buch*
  6. Schindler K, Van Gool L, de Gelder B. Recognizing emotions expressed by body pose: a biologically inspired neural model. Neural Netw. 2008 Nov;21(9):1238-46
  7. Damasio A, Carvalho GB. The nature of feelings: evolutionary and neurobiological origins. Nat Rev Neurosci. 2013 Feb;14(2):143-52
  8. Kearney BE, Lanius RA. The brain-body disconnect: A somatic sensory basis for trauma-related disorders. Front Neurosci. 2022 Nov 21;16:1015749
  9. Was wir von Jägern und Sammlern über Kindererziehung lernen können. SPIEGEL online. 26/11/2023
  10. Gabor Maté. Vom Mythos des Normalen: Wie unsere Gesellschaft uns krank macht und traumatisiert – Neue Wege zur Heilung. Herausgeber: Kösel-Verlag Buch*
  11. Pschyrembel Online – Alexthymie
  12. Blind für Wut und Freude. DER SPIEGEL 49/2003
  13. Bessel van der Kolk. Das Trauma in dir: Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können. Herausgeber: Ullstein Buch*
  14. Hildegund Heinl, Peter Heinl. Körperschmerz – Seelenschmerz: Die Psychosomatik des Bewegungssystems. Ein Leitfaden. Herausgeber: Thinkaeon Buch*
  15. NICHOLS LA. THE EMOTIONS, MUSCLE TENSION AND RHEUMATISM. J Coll Gen Pract. 1964 Sep;8(2):156-70
  16. Körperspannung als Schutzmechanismus - Eine bioenergetische Perspektive der Emotionsregulation. Vita Heinrich-Clauer, Psychotherapie-Wissenschaft 7 (2) 29–35 2017
  17. Siccardi MA, Tariq MA, Valle C. Anatomy, Bony Pelvis and Lower Limb: Psoas Major. [Updated 2023 Aug 8]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2023 Jan
  18. Chiaramonte R, Bonfiglio M, Chisari S. A significant relationship between personality traits and adhesive capsulitis. Rev Assoc Med Bras (1992). 2020 May 15;66(2):166-173
  19. Diese Symptome zeigen, wenn Sie Trauer nicht verarbeitet haben. t-online. 08/06/2022
  20. Symboldatenbank ‣ Knie
  21. Jan Lingen. So löst die Psyche Bandscheibenvorfälle und Arthrose aus – ein mögliches psychosomatisches Szenario
  22. Inami, Takayuki & Shimizu, Takuya & Baba, Reizo & Nakagaki, Akemi. (2014). Acute Changes in Autonomic Nerve Activity during Passive Static Stretching. American Journal of Sports Science and Medicine. 2. 166-170. 10.12691/ajssm-2-4-9
  23. Kruse NT, Scheuermann BW. Cardiovascular Responses to Skeletal Muscle Stretching: “Stretching” the Truth or a New Exercise Paradigm for Cardiovascular Medicine? Sports Med. 2017 Dec;47(12):2507-2520
  24. Hotta K, Behnke BJ, Arjmandi B, Ghosh P, Chen B, Brooks R, Maraj JJ, Elam ML, Maher P, Kurien D, Churchill A, Sepulveda JL, Kabolowsky MB, Christou DD, Muller-Delp JM. Daily muscle stretching enhances blood flow, endothelial function, capillarity, vascular volume and connectivity in aged skeletal muscle. J Physiol. 2018 May 15;596(10):1903-1917
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  28. Buch*
  29. Yoga hilft bei Posttraumatischer Belastungsstörung. Zentrum der Gesundheit. 16/10/2023

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